Ein Interview mit Heide Cortolezis zu Schichtarbeit, Anerkennung und subtilen Ausdrucksformen von männlichen Unternehmenskulturen

Gesetzliche Gleichstellung

Unternehmen für Mädchen: Was verbinden junge Frauen mit dem 8. März?

Heide Cortolezis: Junge Frauen wissen wenig über die Geschichte der Frauenbewegung. Wenn Sie erfahren, was vor 20 Jahren Recht war, sind sie völlig überrascht. Die legale Gleichstellung ist noch nicht so lange her. Aber junge Frauen sind sich schon bewusst, dass es keine Gleichstellung im Kontext von Arbeit und Beruf gibt, das haben unsere Fokusinterviews gezeigt. Sie sind auch sehr sensibel im Wahrnehmen von Benachteiligungen.

Unternehmen für Mädchen: Sind die Mädchen sensibler als früher in der Wahrnehmung von Benachteiligungen?

Heide Cortolezis: Sie sind vielleicht nicht sensibler, aber dieser Ruf nach Transparenz, was Aufstieg, Karrieremöglichkeiten, Bonifikationen betrifft – das ist Ausdruck der Vermutung, dass mangelnde Transparenz der Vorbote von Benachteiligungen ist.

Unternehmen für Mädchen: Was wurde in Bezug auf Gleichstellung in der Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten erreicht?

Heide Cortolezis: Ganz zentral: der rechtliche Anspruch auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Es hat ja lange genug Frauenlöhne und Männerlöhne gegeben. Aber auch die Tatsache, dass Frauen in Schichtbetrieben arbeiten dürfen. Das Nacharbeitsverbot hat sich ja seit jeher auf die Schichtarbeit mit kollektivvertraglich hohen Löhnen bezogen hat und nie auf Gastronomie oder Krankenhäuser. In den Unternehmen selbst hat sich einiges bewegt in Bezug auf „nicht-traditionelle“ Besetzung von Arbeitsplätzen.

Schichtarbeit für Frauen

Unternehmen für Mädchen: Schichtarbeit wird aber auch heute noch als unzumutbar für Frauen bezeichnet.

Heide Cortolezis: Aber nicht von den Frauen selbst. Sie nehmen als positiv wahr, dass man ganz lange im Vorhinein weiß, von wann bis wann man arbeitet, man kann sich alles viel besser einteilen, als beispielsweise im Handel mit der kapazitätsorientierten Arbeitszeit. Diese Form der Arbeit erleichtert die Planbarkeit.

Unternehmen für Mädchen: Aber wollte man ursprünglich mit der Schichtarbeit nicht Frauen gesundheitlich schützen?

Heide Cortolezis: Wenn es um Arbeitnehmerschutz im Bereich der Gesundheit gegangen wäre, hätten die Arbeitnehmervertreter ihre Stimme auch für die Männer lauter erhoben. Die gesundheitliche Beeinträchtigung wurde ja lange ignoriert. Diese wird mittlerweile generell stärker berücksichtigt, dies zeigt sich z.B. in viel längeren Zyklen, nicht mehr eine Woche so und die nächste wieder anders. Die Sensibilität ist da mittlerweile viel höher.

Heide Cortolezis

Heide Cortolezis, MSc, MBI

Geschäftsführerin des Regionalvereines nowa – Training, Beratung, Projektmanagement; Geschäftsführerin der Fa. Arcade Unternehmensberatung; Obfrau bei FELIN_ Female Leaders Initiative; Organisationsentwicklerin, Innovationsmanagerin, Gender Mainstreaming Expertin.

Technikorientierte Forschung

Unternehmen für Mädchen: Hat sich neben den gesetzlichen Rahmenbedingungen auch kulturell etwas geändert? Beispielsweise in Unternehmen?

Heide Cortolezis: Kulturveränderung zeichnet sich durch wesentlich längere Zeiträume aus als etwas gesetzliche Änderungen. Auch Wirtschaftsbetriebe reproduzieren letztlich die gesellschaftliche Kultur, von der Mitarbeiterin bis zur Geschäftsführung. Nehmen wir das Beispiel der technikorientierten Forschung. Österreichische Leitbetriebe weisen im Forschungsbereich um die 10% Frauenanteil auf. Da geht es ja nicht um das Bewegen schwerer Lasten oder Nachtarbeit. Da gibt es überhaupt keinen Grund für einen niedrigen Frauenanteil. Diese Unternehmen würden sich wohl auch nicht überlegen, ob sie eher einen weiblichen oder einen männlichen Entwickler nehmen würden, wenn diese gut sind.

Subtile Äußerungen einer männlich orientierten Kultur in der Technik

Unternehmen für Mädchen: Wie kommt es dann zu diesem niedrigen Frauenanteil?

Heide Cortolezis: Sie sind mit männlich orientierten Kulturen in den Unternehmen konfrontiert. Eine Kulturveränderung in diesem Bereich ist nur realisierbar, wenn die Unternehmensleitung entsprechend klare Ziele und Maßnahmen setzt.

Unternehmen für Mädchen: Was zeichnet männlich orientierte Unternehmenskulturen aus?

Heide Cortolezis: Es geht da nicht um grundlegende Unterschiede. Wenn du männliche und weibliche BewerberInnen interviewen würdest, wären auch die Erwartungen nicht sehr unterschiedlich. Auf der Kulturebene spielt es sich subtil ab. Da geht es nicht um sexistische MitarbeiterInnen. Eher: Wie zeigt man der nächsten hierarchischen Ebene, dass man gut ist und in welcher Form wird das auch anerkannt. Wie wird belohnt?

Frauen wollen eine andere Form der Anerkennung als Männer

Unternehmen für Mädchen: Inwiefern betrifft das beispielsweise die Ausbildner?

Heide Cortolezis: Die können sehr verunsichert werden. Sie sind es vielleicht seit 20 Jahren gewohnt, ihre Anerkennung auf eine bestimmte Art und Weise – in einer männlich dominierten Kultur – zu zeigen. Das kann ein Schulterklopfen sein.

Unternehmen für Mädchen: Die Anerkennung ist vermutlich nicht nur im Lehrlingsbereich ein Thema …

Heide Cortolezis: Nein, das lässt sich bis in die Tophierarchien von Topunternehmen nachweisen. Mitarbeiterbefragungen zeigen auch in hochqualifizierten Bereichen, dass sich Frauen nicht anerkannt fühlen. Dies führt zu geringerer Mitarbeiterinnenidentifikation. In Gesprächen drücken die Vorgesetzten aus, wie toll die weiblichen Mitarbeiterinnen arbeiten und dass ihre besten Mitarbeiterinnen Frauen sind. Aber diese spüren das nicht.

Unternehmen für Mädchen: Woran liegt das?

Heide Cortolezis: Frauen wollen es hören, dass sie gut sind. Wie sie auch im Privaten hören wollen, dass das neu erworbene Accessoire schön ist, dass das erstmals versuchte Gericht köstlich schmeckt. Männliche Vorgesetzte vergessen das und implementieren Belohnungssysteme beispielsweise über ein neues Notebook, i-phone, Aufstiegsmöglichkeiten. Sie gehen nicht rein bei der Tür und zeigen ihre Anerkennung durch ein öffentliches und ehrlich gemeintes „Super gemacht!“

Unternehmen für Mädchen: Heißt das, dass Frauen mehr Anerkennung im beruflichen Kontext brauchen?

Heide Cortolezis: Sie bekommen die Anerkennung ja auch zu Hause nicht. Männer dagegen schon. Dafür reicht oft das In-Betrieb-Nehmen des Staubsaugers. Männer erzählen zu Hause auch mehr über die Arbeit. Wenn diese Frage umgekehrt an die Frau gerichtet wird, ist das häufig nicht mehr als ein Einstieg, um über den eigenen Tag zu berichten. Das bedeutet ja nicht, dass Frauen defizitäre Wesen sind. Sie bekommen einfach weniger Anerkennung im beruflichen Kontext.

Unternehmen für Mädchen: Und sie arbeiten auch eher unbezahlt …

Heide Cortolezis: Das Thema „unbezahlte Arbeit“ ist ein zentrales Thema für den 8.März. Frauen übernehmen die unbezahlten Tätigkeiten zu Hause, vom Haushalt bis zur Pflege der Angehörigen, auch zu Lasten der beruflichen und bezahlten Arbeit. Männer arbeiten nicht unbezahlt. Sogar wenn sie dem Nachbarn bei der Garage helfen, wird eine Gegenleistung erwartet.

Unternehmen für MädchenWas bedeutet das für „Unternehmen für Mädchen“?

Heide Cortolezis: Einen langen Atem haben. Kulturveränderung benötigt viel Zeit.

Das Interview führte Otto Rath vom Projekt “Unternehmen für Mädchen”.